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Montag, 5. August 2019

Wie ein Manga nach Deutschland kommt | Interview mit dem Cross Cult Verlag (Manga Cult)


Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, bin ich in letzter Zeit wieder auf den Geschmack gekommen was Manga angeht. Daher habe ich mich mit Redakteurin Lea Heidenreich vom CrossCult Verlag in Verbindung gesetzt und durfte ihr und der Übersetzerin Verena Maser des Verlags ein paar Fragen stellen. Dabei ging es darum, wie ein Manga überhaupt zu uns findet und welche Schritte es bis zur Veröffentlichung zu gibt.

Viel Spaß bei dem Interview!

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Mangas erfreuen sich schon lange großer Beliebtheit und ich habe das Gefühl, dass es stetig mehr wird. Ich danke Dir daher sehr, dass Du dir die Zeit genommen hast, um meine Fragen zu beantworten. Denn der Weg eines originalen Manga nach Deutschland ist vermutlich nicht mal eben so geschehen...
Wie werdet Ihr denn auf Manga aufmerksam und wie finden sie den Weg zu Euch? Es gibt ja sicherlich viele Neuerscheinungen aus Japan.
Es gibt viele Wege, wie wir auf Manga aufmerksam werden. Wir bekommen von den japanischen Verlagen regelmäßig Informationen über Neuerscheinungen, aber wir informieren uns auch darüber, was in anderen Ländern (USA, Frankreich) lizenziert wurde, welche Titel eine Animelizenz bekommen werden, welche Themen bei den deutschen Fans gerade beliebt sind. Und wir haben eine ganz lange Liste mit Titelwünschen unserer Leser, die wir auch immer wieder zu Rate ziehen.


Wie viele Male wird sich so ein Manga angeschaut, bevor Ihr euch dafür entscheidet? Und entscheidet es nur eine Person oder gibt es eine Redaktion, die sich dafür zusammensetzt? 
In der Regel entscheiden das Micha und ich vom Team Manga Cult. Unsere Auswahl stellen wir unserem Chef vor, der in der Regel ganz zufrieden mit unserer Auswahl ist. Manche Titel werden monatelang diskutiert, aber bei einigen geht es auch ganz schnell. Cells at Work zum Beispiel war so ein Manga, bei dem keiner von uns lange überlegen musste.


Existieren bestimmte Themen, welche in Deutschland funktionieren und manche die hier vielleicht eher schwierig sind, dafür aber in Japan gut ankommen?
Zumindest bei kommen die Fantasymanga momentan sehr gut an, aber solche Titel laufen auch in Japan in der Regel sehr gut. Schwieriger ist es mit historischen Manga. Es gibt da einige Reihen, die in Japan extrem populär sind, und die es nie nach Deutschland geschafft haben. Der durchschnittliche Leser in Deutschland würde sich bei so hochspeziellen Themen wohl eher schwer einfinden. 


Ihr kennt die Mangas ja zunächst auch nur auf Japanisch. Gibt es eine Übersetzung für euch oder sprecht ihr etwa alle japanisch?
Micha und ich sprechen Japanisch. Aber da bei Manga der Zeichenstil immer eine große Rolle spielt, werfen auch unsere Kollegen ohne Japanischkenntnisse gern einen Blick auf unsere Wunschtitel. Schließlich sprechen auch den Leser im Buchhandel zuallererst das Cover und die Zeichnungen an.




Nun zu Fragen an Verena Maser, Übersetzerin beim CrossCult Verlag...
Die japanische Sprache ist eine sehr komplexe Sprache. Welche Schwierigkeiten oder Besonderheiten gibt es hier bei der Übersetzung zu beachten?
Zu viele, um sie hier alle aufführen zu können. (lach) Grundsätzlich sind Japanisch und Deutsch kaum miteinander kompatibel. Das fängt schon bei der Satzstruktur an: Im Deutschen haben wir Subjekt – Verb – Objekt, im Japanischen Subjekt – Objekt – Verb. Wenn im Manga Sätze auf mehrere Blasen aufgeteilt werden, ist das dann oft ein Problem.
Das Japanische ist eine „Kontextsprache“. Das klingt harmlos, bedeutet aber, dass man nicht immer alles sagt/schreibt, weil man davon ausgeht, dass das Gegenüber weiß, worum es geht. Im Deutschen muss man hingegen schon präzise sein und genau sagen, wer z.B. was über wen sagt – oder gesagt hat oder sagen könnte. 

Ich vermute mal, nun geht es zum Grafiker. Was für Aufgaben warten da auf euch? Werden die Zeichnungen noch überarbeitet oder bleibt es wie im Original?
Wir versuchen so wenig wie möglich an den Originalzeichnungen eines Mangas zu ändern. Soundworte zum Beispiel bleiben meist im Original stehen, und unsere Grafiker setzen die Übersetzung in einer passenden Schriftart daneben. Manchmal kommt man aber um die Retusche nicht herum. Schilder im Hintergrund bieten zum Beispiel oft nicht genug Platz, um den japanischen Text neben dem deutschen stehen zu lassen. Mein Lieblingsbeispiel ist die schwarze Kugel bei GANTZ, auf der regelmäßig Text erscheint. Sowas muss man retuschieren, sonst kann am Ende niemand mehr der Handlung folgen. ;)


Ein Manga besteht zu einem Großteil aus Zeichnungen, aber der Text spielt natürlich eine unheimlich große Rolle. Wenn man mal von dem Text in den Sprechblasen absieht, gibt es ja auch kleinere Texte wie Geräusche oder Ähnliches. Werden die ebenfalls "übersetzt"? Also gibt es dort zwischen Japan und Deutschland Unterschiede? Im Englischen sagt ja eine Katze zum Beispiel "meow" und im Deutschen "miau". Wie sieht es hier aus?
Soundwords, ein ewiger Quell der Freude … Im Japanischen gibt es zwei Kategorien von Soundwords: giongo, die tatsächliche Geräusche abbilden, und gitaigo, die Zustände abbilden. Sehr viele Geräusche/Zustände haben feste Soundwords, die auch wirklich von allen Japaner*innen immer gleich verstanden werden. Beispiel: „Zaaaa“ ist immer prasselndes Wasser, „doyo doyo“ ist immer ein Zustand nervöser Unruhe. Dafür gibt es auch ganze Lexika, mein Bevorzugtes hat rund 4.500 Einträge. Dazu kommen dann aber nochmal Geräusche, die sich die Mangakünstler*innen selber ausdenken, wo ich nach den Zeichnungen gehen muss.
Wie man das ganze übersetzt, ist dann wieder eine eigene Frage. Das Deutsche kennt kaum Soundwords, die immer dasselbe bedeuten. Meistens benutze ich den sog. „Erikativ“, „erfunden“ von der großen Donald-Duck-Übersetzerin Dr. Erika Fuchs: man kürzt vom Verb einfach das Ende weg, aus „zittern“ wird also z.B. „zitter“. Das funktioniert oft, findet aber bei Beschreibungen wie „plötzlich auftauch“ seine Grenzen. So was stelle ich dann gerne meinen Kolleg*innen zur Diskussion.
Japanische Katzen sagen übrigens „nyaa“.


Stellt die Leserichtung manchmal ein Problem da? Also von hinten nach vorne und von rechts nach links? Oder ist das für die Übersetzung kein Problem?
Es stellt nur ein Problem dar, wenn die Anordnung doch mal bewusst andersrum ist, also von links nach rechts gelesen werden muss, das kommt aber fast nie vor. Und Problem dann auch nur insofern, als dass ich aufpassen muss, den Dialogfluss entsprechend einzuhalten.


Was findest Du so spannend am Übersetzen eines Mangas? Wo siehst Du den Unterschied zu einem Roman?
Das Spannende bzw. das, was mich am meisten reizt, ist die Abwechslung: heute eine Liebesgeschichte, morgen ein Sci-Fi Abenteuer, übermorgen philosophierende Juwelen … Es wird einfach nie langweilig. Und jeder Manga ist eine eigene Herausforderung mit eigenen Wortspielen, Soundwords, Formulierungen, für die ich schöne deutsche Entsprechungen finden muss.
Ich schreibe auch selber Geschichten und Hörspiele (wenn ich denn mal die Zeit dazu finde) und dabei habe ich gemerkt, dass ich sehr viel lieber ausufernde Dialoge schreibe als Szenerien zu beschreiben. Insofern kommen mir Manga sehr entgegen, da diese ja auch zu 90% aus Dialogen bestehen. Andererseits bedeuten die Sprechblasen natürlich auch eine große Einschränkung beim Platzangebot, da beneide ich die Übersetzer*innen von Romanen manchmal, dass sie sich einfach auf der weißen Seite ausbreiten können.




Wie lange brauchst Du durchschnittlich für die Übersetzung eines Mangas?
Sehr, sehr unterschiedlich. Manche Bücher erscheinen beim ersten Durchlesen total unschuldig, beim Übersetzen tun sich dann aber plötzlich Abgründe auf … Ich bekomme von meinen Auftraggebern in der Regel ein bis zwei Monate Zeit pro Band und die sind auch nötig, weil ich gerne mal rohe Übersetzungen ein paar Tage liegen lasse, um dann noch mal mit „frischen Augen“ dranzugehen.

PS: Als Mit-Urheber*innen sehen wir Übersetzer*innen es gerne, wenn wir bei den Titel-Angaben unserer Bücher in Rezensionen mitgenannt werden :)


Danke für die wirklich interessanten Antworten zur Übersetzung. Doch für Lea habe ich da noch ein paar Fragen...
Welche Rolle spielt das Lektorat bei einem Manga und auch im Hinblick auf die Übersetzung? 
Lektorate sind immer wichtig. Nicht nur, um mögliche Fehler auszumerzen oder bei langen Reihen ein weiteres Auge auf konsistente Übersetzung zu werfen. Oft ist es auch gut, schwierige Stellen mit mehreren Leuten besprechen zu können. Und wenn der Text nicht in die Sprechblasen passt, ist es auch die Aufgabe des Lektors, ihn zu kürzen.


Jetzt sprechen wir die ganze Zeit von Mangas aus Japan. Gibt es auch Mangas, die direkt aus Deutschland stammen? 
Es gibt unheimlich viele talentierte deutsche KünstlerInnen, die es mitunter problemlos mit den japanischen Kollegen aufnehmen können! Bisher konnten wir aus verschiedenen Gründen im bei Manga Cult noch keine deutschen Titel veröffentlichen, aber in Zukunft würden wir so etwas auch gerne mal versuchen.


Nun eine große Frage: Wie lange dauert es ungefähr bis ein Manga (aus Japan) entdeckt, überarbeitet und schließlich bei uns im Laden steht? 
Das ist unterschiedlich. In der Regel muss man von der Übersetzung bis zur Auslieferung an den Buchhandel ein gutes halbes Jahr einplanen. Aber es gibt auch Titel, bei denen wir über ein Jahr auf die Zusage zur Lizenzierung gewartet haben. Es gibt Titel, deren Übersetzung sehr anspruchsvoll ist, wie zum Beispiel Golden Kamuy mit den Ainu-Passagen. In solchen Fällen dauert es auch mal länger.


Ich bedanke mich ganz herzlich für die tollen Antworten. Mir hat das Interview sehr viel Spaß gemacht und ich habe echt noch richtig viele neue Infos erfahren. Es ist echt interessant, wie viele Schritte es gibt und welche Schwierigkeiten. Vielen Dank an Euch beide! 

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Ich hoffe auch euch Lesern konnten die beiden noch ein paar neue Infos näher bringen und vielleicht Manga sogar etwas interessanter machen. Hinterlasst doch mal einen Kommentar, was ihr an Manga spannend findet oder vielleicht was euch aus dem Interview am meisten überrascht hat. 

Eure,

2 Kommentare:

  1. Meine liebe Sinah,
    ich finde den Beitrag toll! Die beiden Mädels haben beim Beantworten deiner Fragen einen tollen Job gemacht und du beim Stellen deiner Fragen natürlich auch.
    Ziemlich spannend, dass solche kleinen Dinge wie Soundworte oft so ein großes Hindernis darstellen, denn ich muss ehrlich sagen, dass ich diese bisher fast immer überlesen habe. :D In Zukunft werde ich dem aber mehr Aufmerksamkeit entgegen bringen, damit sich die ganze Arbeit auch wirklich lohnt!

    Liebst,
    Rika ♥

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    Antworten
    1. Liebe Rika ♥
      Danke dir :) ja ich hab auch nie sooo wirklich auf Soundwords geachtet und fand den Aspekt echt sehr interessant. Da denkt man gar nicht so drüber nach :D

      Alles Lieb,
      Sinah

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